Herrschaftsverwaltung

Projektbeschreibung

Im Rahmen des Projekts Adelige und geistliche Herrschaftsverwaltung in Niederösterreich, finanziert vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), werden die normativen Quellen zweier niederösterreichischer Grundherrschaftskomplexe – die liechtensteinischen Herrschaften Feldsberg [heute Valtice in der Tschechischen Republik] und Wilfersdorf, sowie die Herrschaft des Augustiner-Chorherrenstifts Klosterneuburg – für den Zeitraum von etwa 1550 bis zur Grundentlastung 1848 vollständig ediert.

Die Edition von Policeyordnungen, Instruktionen für Herrschaftsbeamte, die Eigenwirtschaft und die Untertanen betreffende Ordnungen, Patente, Dekrete und Befehle sowie die Konfessionalisierung der Untertanen betreffende Mandate soll einen Beitrag zur Erforschung der grundherrschaftlichen Verwaltung, eines bislang noch unterbelichteten Themas innerhalb der österreichischen Verwaltungsgeschichte der Frühen Neuzeit leisten. Die exemplarische Edition der Herrschaftsinstruktionen je einer weltlichen und einer geistlichen Herrschaft will der Wissenschaft ein Quellenkorpus zur Verfügung stellen, das sich neben Fragestellungen zur grundherrschaftlichen Verwaltung im engeren Sinn auch für die Erforschung der rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen „Lebenswelt“ der untertänigen Bevölkerung bestens eignet.

Das dreijährige Projekt (Beginn: Februar 2008) wird am Institut für Geschichte der Universität Wien durchgeführt.In den Handbüchern zur österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte wird die grundherrschaftliche Verwaltung, der in der Frühen Neuzeit quantitativ bei weitem umfangreichste Teil der Verwaltung, entweder mit Stillschweigen übergangen oder nur am Rande gestreift. Im gängigen, 2005 in zweiter Auflage erschienenen Handbuch der Verwaltungsgeschichte der böhmischen Länder ist der Herrschaftsverwaltung hingegen ein eigenes Kapitel gewidmet. Der wichtigste Grund dafür dürfte sein, dass die betreffenden normativen Quellen, nämlich die Instruktionen für Herrschaftsbeamte und die diversen grundherrlichen Ordnungen, in Österreich bisher – abgesehen von Helmuth Feigls Geschichte der niederösterreichischen Grundherrschaft sowie von einer vom Antragsteller verfassten Studie zur Verwaltung der liechtensteinischen Herrschaften im 17. und 18. Jahrhundert – wenig beachtet in den Schloss- und Klosterarchiven liegen, während es für Böhmen und Mähren eine rund 100 Jahre alte, fünfbändige Edition sowie zahlreiche verwaltungsgeschichtliche Spezialuntersuchungen gibt.

Die adeligen und geistlichen Grundherren spielten, darüber herrscht in der neueren Forschung weitgehend Einigkeit, in den etwa gleichzeitigen und wohl auch kausal oder jedenfalls funktional zusammenhängenden Prozessen der „Konfessionalisierung“ und der „Sozialdisziplinierung“ in allen Ländern der Habsburgermonarchie eine zentrale Rolle. Die Herausbildung eines „grundherrlichen Absolutismus“ war eng mit der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzenden Kommerzialisierung der Dominien verbunden.

Die spezifischen „posttridentinischen“ katholischen Frömmigkeitsformen, die in Österreich bis weit ins 20. Jahrhundert in der ländlichen Gesellschaft tief verwurzelt waren (man denke nur an das Wallfahrtswesen oder das Rosenkranzbeten), wurden, wie es scheint, nicht zuletzt durch die Grundherrschaften propagiert und implementiert. Dies gilt auch für die Ausbildung eines flächendeckenden Netzes von (Laien-)Bruderschaften. Viele Bruderschaften wurden von adeligen Grundherren (mit)begründet und unterstützt, und zwar insbesondere bei ihrem Patronat unterstehenden Pfarr- und Filialkirchen in den Städten, Märkten und Dörfern auf ihren Herrschaften. Ähnlich wie die kaiserliche Familie und der Hof bei derartigen Anlässen in der Haupt- und Residenzstadt Wien, zierten die ländlichen Obrigkeiten öffentliche Auftritte der Bruderschaften auf ihren Herrschaften durch ihre Anwesenheit. Dadurch wurden die gesellschaftlichen Unterschiede natürlich nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil auf subtile Weise legitimiert.

Ziele

Ein wichtiges Ziel des Forschungsprojekts besteht darin, erstmals an zwei konkreten Beispielen zu demonstrieren, welche Lebensbereiche geistliche und adelige Grundherren der österreichischen Länder im Zeitraum von etwa 1600 bis zur Grundentlastung 1848 zu regeln und zu normieren versuchten, wie sie dies taten und inwiefern sich die Verwaltungstypen voneinander unterschieden. Dabei werden für die Edition folgende normative Quellen, sofern vorhanden bzw. erhalten, primär herangezogen werden:

  • Grundherrliche Ordnungen (Policeyordnungen, Malefizordnungen, Kellerordnungen, Robotordnungen, Wald- und Holzordnungen etc.)
  • Instruktionen für Herrschaftsbeamte
  • Instruktionen für Meier, Müller, Bäcker und andere Handwerker in herrschaftlichen Diensten
  • IInstruktionen für Dorfrichter

Aus der Zusammenschau dieser Texte geht hervor, wie durch die Ordnungen, Instruktionen und Befehle idealiter ein durch den Grundherrn und seine Beauftragten vollkommen reglementierter sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Mikrokosmos geschaffen und aufrechterhalten werden sollte. Mit diesem Editionsvorhaben soll nicht nur ein Beitrag zur Schließung einer großen Lücke in der österreichischen Verwaltungsgeschichte am Beispiel des Landes unter der Enns geleistet werden, sondern es soll auch die Erforschung der Rolle, die die Grundherren und der grundherrliche administrative und bürokratische Apparat für die Entwicklung der ländlichen Gesellschaft in Österreich spielten, auf eine neue, breitere Quellengrundlage gestellt werden.

Edition

Das Projekt wird der historischen Forschung und Lehre ein Quellenkorpus zur Verfügung stellen, das sich neben Fragestellungen der grundherrschaftlichen Verwaltung im engeren Sinn auch für die Erforschung der rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen „Lebenswelt“ der Herrschaftsbeamten und der Untertanen bestens eignet. Geplant sind eine „klassische“ Buchedition der vollständigen Texte mit Kopfregesten und inhaltlicher Erschließung mittels Index sowie eine digitale Edition in Form einer relationalen Datenbank. Mit der digitalen Edition soll für die Zukunft eine Internetplattform für die Edition grundherrschaftlicher Quellen zur Verfügung gestellt werden.

Mit Hilfe der zu edierenden normativen Quellen können – zusammen mit weiteren, aus dem administrativen „Alltag“ entstandenen nicht-normativen Quellen – unter anderem Beiträge zur Beantwortung der folgenden Forschungsfragen geleistet werden: Welche Rolle spielten die Grundherrschaften und die Herrschaftsbeamten bei der (Sozial-)Disziplinierung und der (katholischen) Konfessionalisierung in der ländlichen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts und welche bei der Kommerzialisierung und Modernisierung der dominikalen und der rustikalen Landwirtschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts? Wie beeinflussten die Forderungen und Normierungen der Grundherrschaften das Wirtschaften, die Marktintegration, die Familienstrategien (Eheschließungen, Besitzübertragungen) und ganz allgemein das Alltagsleben der Untertanen? Welche Bedeutung und welche Folgen hatte die (scheinbare?) Allgegenwart der Herrschaft im Leben der Landbevölkerung Niederösterreichs in der Frühen Neuzeit?